Kalif Storch – Kapitel 3

Kalif Storch - Kapitel 3
Kalif Storch – Kapitel 3

Der Kalif Storch und sein Wesir lassen sich nicht entmutigen. Traurig zwar suchen sie doch, wie sie den bösen Zauber wieder lösen können.

Traurig wandelten die Verzauberten durch die Felder; sie wussten gar nicht, was sie in ihrem Elend anfangen sollten. Aus ihrer Storchenhaut konnten sie nicht heraus, in die Stadt zurück konnten sie auch nicht, um sich zu erkennen zu geben; denn wer hätte einem Storchen geglaubt, dass er der Kalif sei? und wenn man es auch geglaubt hätte, würden die Einwohner von Bagdad einen Storchen zum Kalifen gewollt haben?

So schlichen sie mehrere Tage umher und ernährten sich kümmerlich von Feldfrüchten, die sie aber wegen ihrer langen Schnäbel nicht gut verspeisen konnten. Zu Eidechsen und Fröschen hatten sie keinen Appetit; denn sie befürchteten, mit solchen Leckerbissen sich den Magen zu verderben. Ihr einziges Vergnügen in dieser traurigen Lage war, dass sie fliegen konnten. Und so flogen sie oft auf die Dächer von Bagdad, um zu sehen, was darin vorging.

In den ersten Tagen bemerkten sie große Unruhe und Trauer in den Straßen. Aber ungefähr am vierten Tag nach ihrer Verzauberung saßen sie auf den Palast des Kalifen; da sahen sie unten in der Straße einen prächtigen Aufzug.

Trommeln und Pfeifen ertönten, ein Mann in einem goldgestickten Scharlachmantel saß auf einem geschmückten Pferd, umgeben von glänzenden Dienern. Halb Bagdad sprang ihm nach, und alle schrien:

„Heil Mizra, dem Herrscher von Bagdad!“ Da sahen die beiden Störche auf dem Dache des Palastes einander an, und der Kalife sprach: „Ahnst du jetzt, warum ich bezaubert bin, Großwesir? Dieser Mizra ist der Sohn meines Todfeindes, des mächtigen Zauberers Kaschnur, der mir in einer bösen Stunde Rache schwur. Aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Komm mit mir, du getreuer Gefährte meines Elends! Wir wollen zum Grab des Propheten wandern; vielleicht, dass an heiliger Stätte der Zauber gelöst wird.“

Sie erhoben sich vom Dach des Palastes und flogen der Gegend von Medina zu. Mit dem Fliegen wollte es aber nicht gar gut gehen; denn die beiden Störche hatten noch wenig Übung. „O Herr,“ ächzte nach ein paar Stunden der Großwesir, „ich halte es mit Eurer Erlaubnis nicht mehr lange auss. Auch ist es schon Abend, und wir täten wohl, ein Unterkommen für die Nacht zu suchen.“

Der Kalif gab der Bitte seines Dieners Gehör; und da er unten im Tale eine Ruine erblickte, die ein Obdach zu gewähren schien, so flogen sie dahin. Der Ort, wo sie sich für diese Nacht niedergelassen hatten, schien ehemals ein Schloss gewesen zu sein. Schöne Säulen ragten unter den Trümmern hervor, mehrere Gemächer, die noch ziemlich erhalten waren, zeugten von der ehemaligen Pracht des Hauses. Der Kalif und sein Begleiter gingen durch die Gänge umher, um sich ein trockenes Plätzchen zu suchen.

Plötzlich blieb der Großwesir stehen. „Herr und Gebieter“, flüsterte er leise, „wenn es nur nicht töricht für einen Großwesir, noch mehr aber für einen Storchen wäre, sich vor Gespenstern zu fürchten! Mir ist ganz unheimlich zu Mut; denn hier neben hat es ganz vernehmlich geseufzt und gestöhnt.“ Der Kalif blieb nun auch stehen und hörte deutlich ein leises Weinen, das eher einem Menschen als einem Tiere anzugehören schien. Voll Erwartung wollte er der Gegend zugehen, woher die Klagetöne kamen; der Wesir aber packte ihn mit dem Schnabel am Flügel, und bat ihn flehentlich, sich nicht in neue unbekannte Gefahren zu stürzen.

Doch vergebens! Der Kalif, dem auch unter dem Storchenflügel ein tapferes Herz schlug, riss sich mit Verlust einiger Federn los und eilte in einen finstern Gang. Bald war er an einer Türe angelangt, die nur angelehnt schien, und woraus er deutliche Seufzer mit ein wenig Geheul vernahm. Er stieß mit dem Schnabel die Türe auf und blieb  überrascht auf der Schwelle stehen. In dem verfallenen Gemach sah er ein kleines Käuzchen auf der Erde hocken.

Kalif Storch: Indische Prinzessin als Nachtkauz

Dicke Tränen rollten ihr aus den großen, runden Augen, und mit heiserer Stimme stieß sie ihre Klagen zu dem krummen Schnabel heraus. Als sie aber den Kalifen und seinen Wesir, der indes auch herbeigeschlichen war, erblickte, erhob es ein lautes Freudengeschrei. Zierlich wischte es mit dem braungefleckten Flügel die Tränen aus dem Auge, und zu dem großen Erstaunen der beiden rief sie in gutem menschlichem Arabisch: „Willkommen, ihr Störche! Ihr seid mir ein gutes Zeichen meiner Errettung; denn durch Störche werde mir ein großes Glück kommen, ist mir einst prophezeit worden!“

Als sich der Kalif von seinem Erstaunen erholt hatte, bückte er sich mit seinem langen Hals, brachte seine dünnen Füße in eine zierliche Stellung und sprach: „Liebes Käuzchen! Deinen Worten nach darf ich glauben, einen Leidensgefährten in dir zu sehen. Aber ach! Deine Hoffnung, dass durch uns deine Rettung kommen werde, ist vergeblich. Du wirst unsere Hilflosigkeit selbst erkennen, wenn du unsere Geschichte hörst.“ Das Käuzchen bat ihn, zu erzählen; der Kalif aber hub an und erzählte, was wir bereits wissen.

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